Das Sterben des Ich

von Carmen

Vor 5 ½ Jahren hatte ich meinen Zusammenbruch. Ich ging für 3 Monate in die Psychiatrie. In dieser Zeit ging es mir, im Nachhinein betrachtet, ziemlich gut.

Danach war ich einen Monat daheim, bevor ich wieder zu arbeiten begann. Eine Woche konnte ich mich wieder in das alte System einfügen, bevor wieder alles zu zittern begann und ich nicht mehr konnte.

Ich war alleine zu Hause und eine Dunkelheit überkam mich, so dunkel, wie ich es niemals vorher hätte ahnen können. Eine Leere füllte (leerte?) mein Leben – fast nicht zum Aushalten – und der Tod war eine Verlockung.

Ich erlebte Todesmomente aus vergangenen Leben in meiner heutigen Realität wieder … Ich würde sagen, die Realitäten schoben sich ineinander und ich konnte sie nicht mehr trennen. Es war grauenvoll und absolut verwirrend.

Da kamen Seelenanteile mit Erinnerungen aus vergangenen Zeiten in mein jetziges Leben, um sie endlich zu erlösen und zu integrieren.

Zu Anfang tat ich mich sehr schwer damit, weil ich in den Schmerz ging, ihn nochmals durchlebte. Interessant war zu erkennen, dass Glaubenssätze in meinem heutigen Leben, ihren Ursprung in meinen vergangenen Leben hatten. Ich verstand jetzt, weshalb ich eben so war, wie ich war und kämpfte von nun an nicht mehr gegen mich selbst.

Es kamen immer mehr Seelenanteile spontan zurück. Mit der Zeit lernte ich, nicht mehr in den Schmerz zu gehen, sondern in mein eigenes Verständnis.

Ich weinte, tröstete mich selbst und konnte uralte Interpretationen meiner damaligen Wirklichkeit für mich in ein neues Licht rücken.

Die Erinnerungen an Leben, in denen ich ganz ich selbst war, lösten eine unglaubliche Traurigkeit aus, weil ich mich im eigenen Leben gefangen sah, weit weg von mir, gefangen in einer Welt, die andere Werte lebte, nach denen ich nicht streben konnte und wollte.

Meine heutige Realität zu akzeptieren, fiel mir unglaublich schwer.

Ich hatte keine Motivation mehr, keine Ideen, keine Ziele, keine Absichten … und viel, viel Zeit.

Unter die Menschen konnte ich nicht mehr gehen, da ich die ganzen Gefühle meiner Umgebung aufnahm. Ich konnte mich davon nicht trennen, nicht davor schützen. Einsamkeit war erträglicher, auch wenn sie mit der Zeit unerträglich wird.

Ich schlief Tag und Nacht, alles war Qual. Ich fühlte mich gelähmt, während es in meinem Solarplexus brodelte. Es waren Gefühle, von denen ich nie dachte, das so etwas Schreckliches existiert. Absolute Dunkelheit und Leere. Und kein Ablenken, nichts!

In dieser Zeit konnte ich nicht lesen, nicht schreiben, nicht malen … Ich lag einfach nur da und tat nichts. Es war unerträglich. Die Zeit dehnte sich ins Unermessliche aus, das Leben schien verschwunden, die Unbeschwertheit geflüchtet, das Lachen gestorben.

Keine Ahnung mehr davon, wie sich Leben anfühlt, wie sich Leben lebt… keine Ahnung, wer ich bin, was ich will.

Und dann hörte ich diese unermüdlichen Stimmen, die mit mir sprachen. Ich wollte nicht mehr zuhören, doch sie sprachen weiter. Diese Stimme manipulierte mich über meine Angst und ich hörte ihr schon ein Leben lang zu, sie beeinflusste mich in allem was ich tat. (Eigentlich „höre“ ich diese Stimmen nicht so, wie ich eine Stimme höre… es ist viel eher so, dass „Gedankenenergie“ übermittelt wird. Ich glaubte darum lange Zeit, dass ich das bin, weil ich denke … irgendwie wurde ich aber gedacht.)

Lange Zeit, dachte ich, dass ich das bin … bis ich erkannte, dass die Stimme in mir Schutz und Hindernis zugleich war. Sie hielt mich gefangen in meinen Ängsten und stieß mich immer weiter in die Dunkelheit, in der ich meinem eigenen Schatten begegnet bin. Und dann fing der Kampf mit meinen eigenen Schatten erst an, der Kampf mit den Geistern meiner Vergangenheit. Sie sprachen sogar in meine eigenen Gedanken hinein, das konnte ich doch selbst nicht!

Vieles, was ich glaubte zu sein, das war ich gar nicht. Wie konnte ich mir sicher sein, wer ich war? Mein ich löste sich immer mehr auf und nicht ich kämpfte in mir dagegen an, der schatten kämpfte, weil er nicht aufgelöst werden wollte, weil er mich brauchte, brauchte wie ein Vampir… er frass meine Freude, mein Lachen… mein Lebendigsein.

Kein Wille mehr vorhanden, der wollte. Keine Absicht, kein Erreichen-können… nichts.

Nur ich mit mir. Nichts können, nichts müssen, nichts wollen. Monatelang sass ich nur da. Tag für Tag. Die einzige Abwechslung war das Schlafen.

Ich konnte nicht sterben und wusste nicht, wie leben.

Ich lebte zurückgezogen an einem wunderschönen Ort, Menschen ertrug ich nicht mehr. Ich ertrug die gespielten Freundlichkeiten nicht mehr, das gekünstelte Lachen.

Ich war abweisend und absolut provozierend. Ich wollte Gefühle, echte Gefühle und wenn es negative Gefühle waren. Lieber negative Gefühle, als diese oberflächlichen Freundlichkeiten.

Als die Stimmen ihre Macht verloren haben, hörte ich diese leise Stimme: Diese unaufdringliche, weise Stimme. Und erkannte, dass sie auch immer da gewesen war, doch oft von den lauten Stimmen übertönt wurde. Diese Stimme war anders. Ihre Nähe war angenehm, ihre Worte nicht dogmatisch, nicht bestimmend: Kein Müssen, kein Sollen, kein Manipulieren, keine Lügen, keine falschen Versprechungen, keine Abwertungen.

Heute stecke ich nicht mehr in dieser Leere, „ich handle“ wieder, ohne dass ich „handelt“… ich würde sagen, es handelt in mir… Ich bin die Wahrnehmende und beobachte, ohne wirklich Einfluss auf das nehmen zu können, was passiert. Ich bin weniger involviert mit mir, nehme irgendwie die Zusammenhänge im Aussen war und beobachte, was geschieht … Ich bin ein Teil davon, ohne dieser Teil zu sein. Ich höre mich selbst sprechen…

Ich lebe immer noch zurückgezogen, auf meinem Hügel. Das Lachen und die Freude sind zurückgekehrt. Ich bin wieder zum Leben erwacht. Leben fühlt sich wieder lebendig an… Doch ganz zurückgekehrt in diese Welt bin ich (noch?) nicht.