Losgelöst im göttlichen Frieden

Versuch der Beschreibung einer Todeserfahrung, die ins Leben führte

Die Geburt meines ersten Sohnes

Das Äußere:

Ein überdurchschnittlich großes und schweres Kind mit einem besonders großen Kopf, eine verkrampfte ängstliche Mutter, die alles richtig machen wollte, ein Geburtsstillstand in der Austreibungsphase, eine operative Entbindung mit der Geburtszange.

Die körperliche Ebene:

Es fühlte sich an, als ob sie mich bei lebendigem Leib ausweiden würden und ich sollte noch dabei helfen. Mein Damm war betäubt worden, umso weher taten mir meine Eingeweide. Zu zweit lagen sie auf meinem Bauch, versuchten das Kind nach unten zu drücken, während der Geburtshelfer versuchte, mein Inneres nach außen zu stülpen. Um mich ging es dabei zuallerletzt: Du musst pressen du musst atmen. Die Herztöne des Kindes waren gleichmäßig, wie ein Metronom. Eine Aufforderung weiter zu kämpfen.

Die Wende:

Die Herzfrequenz des Kindes sank, tock……tock………… tock…………………….

Die Zeit blieb stehen. In mir stieg der Satz auf: „Dann gehen wir halt zusammen“, plötzlich war alles ganz einfach.

Die andere Ebene:

Friede, ein anderes Wort finde ich nicht dafür.

Bilder passen nicht wirklich, schränken zu sehr ein, sind eher hilflose Versuche, das Unbeschreibbare für unsere irdisch beschränkten Sinne begreifbar zu machen. Die Bilder machte ich mir erst im Nachhinein, ich brauchte sie, um das Erlebte zu verarbeiten.

Ich, bzw. das was von meinem Ich noch da war, war irgendwo dazwischen: Ich registrierte zwar die Hektik der Leute im Entbindungszimmer, hatte aber nichts mehr damit zu tun. Da war nur noch eine ganz verschwommene Wahrnehmung, wie aus weiter Ferne. Mit meinem Körper hatte ich gar keine Verbindung mehr, kein Gefühl, kein Schmerz, kein Wollen.

In diesem „Dazwischen“ war kein Licht und auch kein Dunkel, das war völlig irrelevant. Aber in mir war es Licht: Losgelöst im göttlichen Frieden.

Weiterleben:

Von irgendwoher kam der Auftrag zu atmen, es zog mich genauso schnell und unvermittelt in meinen schmerzenden Körper zurück wie ich ihn verlassen hatte.

Die Erinnerung an den göttlichen Frieden durfte ich mitnehmen. Mein Sohn wurde geboren, gesund. 

Was blieb:
  • Die Erfahrung, dass göttlicher Friede möglich ist.
  • Eine tiefe Sehnsucht nach diesem Frieden.
  • Die Erfahrung „gehalten“ und „aufgehoben“ zu sein, im schrecklichsten Moment meines Lebens.
  • Die Erfahrung, dass sterben müssen ein Kampf ist.
  • Die Erfahrung, dass loslassen können eine Gnade ist.
Heute:
  • Vertrauen in die Macht, die größer ist als wir.
  • Lebensfreude und das Bedürfnis, diese mit anderen Menschen zu teilen.
  • Ein junger Mann, den nichts aus der Ruhe zu bringen scheint.

 

07.01.2021
Clara Mechthild Thiele
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