Wahnsinn?! Oder Spirituelle Krise?

Heilsame Erfahrungen und ein Rückblick, viele Jahre danach

Wahnsinn, ja es war wohl manischer Wahnsinn, mit dem ich von einem ersten Casriel-Intensivworkshop am Samstagabend vor dem Totensonntag 1987 nach Hause zurückkehrte. Marianne, meine damalige Lebensgefährtin, war ja erst noch ganz angetan von der Kraft, die ich zunächst mitbrachte und die erste Nacht – oh yeah! Am folgenden Sonntag brach ich morgens auf nach Hannover, um meine Uraltfreundin Gabi zu besuchen. Was hatte ich ihr nicht alles zu erzählen. Ich hatte jetzt die Lösung für all die Depressionen gefunden, ich fühlte mich sooh lebendig. Ich erzählte und erzählte. Anstrengend muss es gewesen sein. Ich spürte solch eine Kraft in mir, eine Kraft, die ich so von mir nicht kannte. Endlich spürte ich in mir die Kraft, die ich in mir ahnte und an die zu glauben ich nie die Hoffnung aufgegeben hatte – sonst hätte ich mich wohl auch nie auf eine Beziehung mit einer Frau wie Marianne eingelassen. Mit dieser Kraft hoffte ich nun endlich diese Partnerschaft retten zu können. Endlich hoffte ich nun stark genug zu sein um den Anforderungen von Lebensgemeinschaft (mit Marianne und ihren vier Kindern) und Beruf (als Pädagogische Unterrichtshilfe – ich war Sozialpädagoge – an einer Schule für Geistig Behinderte) gerecht zu werden. (meine latente neurotische Depression war umgeschlagen in die Kehrseite – in meinem Fall in die manische Selbstüberschätzung).

Liebe, ich spürte eine Liebe, eine grenzenlose Liebe, zu Marianne, den vier Kindern, zu Gabi am folgenden Sonntag, zu meinen Schülern, Kollegen in der Schule für Kranke (Schwer geistig Behinderte). Ich spürte eine Liebe, die mit dem Verstand nicht zu fassen war. Gleich- zeitig begann in mir ein rasendes Denken, wer ich sei, was die Welt, das Leben sei. Alles bekam seinen Sinn, seine Ordnung. Gut und schlecht waren aufgehoben. Ich schrieb, im nachhinein betrachtet, verworrene Texte, über Heilung, aber auch ein paar Lieder. Ich war verrückt von der Normalität – aber was war es? Was war los? Wer war ich? In meinen ersten Tagen nach dem Workshop spukten in mir Gedanken, wie, ich müsste zu etwas Besonderem berufen sein. Bin ich etwa eine Reinkarnation von  Jesus?  Ist  es  meine  Berufung,  Bundeskanzler zu sein? Ich schrieb bereits im Lehrer- zimmer an einer Kabinettsliste. Aber ich nahm auch wieder schnell Abschied von solchen Gedanken. Vieles kam und ging.

Intensiv war der Kontakt mit den Kindern meiner Partnerin oder auch meinen behinderten Schülern. Ich war mit einer Konzentration im Unterricht und bei Ihnen, die ich bis dahin nicht kannte. Ich war so hellwach, aber in den Pausen auch sehr erschöpft von der Konzentration und auch von meinem vom Unter- richt unabhängigen rasenden Denken. Ein gutes Erlebnis in der Schule war noch die Durchführung der Weihnachtsfeier. In einem Krippenspiel stellte ich einen Pfarrer dar. Vor meinem Auftritt setzte ich mich im Nebenraum nie- der und betete um Kraft. Anschließend war ich wieder mit einer vollen Präsenz im Stück. Für meine Kollegen war ich seltsam, von Erziehe- rinnen aus den Häusern der Behinderten bekam ich die Rückmeldung, ich hätte meine Rolle sehr gut gespielt, wie ein richtiger Pastor! Überhaupt je weniger jemand Lehrer war, umso besser kam ich mit ihm zurecht. So z.B. mit meinem Kollegen Reinhard. Vor seiner Ausbildung zum Diakon und Fachlehrer hatte  er einen „gewöhnlichen“ Metallberuf und war sonst schlicht geblieben.

In den Wochen bis Weihnachten spulte innerlich – wahnsinnig – viel ab. Ich weiß noch anfangs, da schrieb ich auf Karteikarten Eigenschaften, wie ich bin. Als wenn ein neues Sortieren meines Lebens anfangen würde. Meine religiösen Empfindungen prägten mich sehr. Ich hatte den starken Drang regelmäßig zur Kirche zu gehen und pflegte das Gebet. Die Bibel las ich mit neuen Augen.

Marianne war alles suspekt. Zuhause häuften sich die Mineralwasserkisten. Denn zu meinen besonderen Wahrnehmungen zählte auch, dass ich unterschiedliche Wirkungen von Mineralwassern auf meinen Gefühlshaushalt feststellte. Steinsieker förderte schlichtes Denken, wenn ich gar zu sehr am Drehen war, Marienbrunnen gab mir Ruhe und Kraft, Christinenbrunnen wirkte erfrischend, belebend, wenn ich mich matt und müde fühlte. Ich setzte das Wasser bewusst ein und entwickelte eine „Mineralwassertheorie“, die ich an einen bekannten homöopathischen Arzt sandte (er sollte später mein Hausarzt werden). Er bestätigte grundsätzlich meine Sinneswahrnehmungen – es sei bekannt, dass Mineralwässer bestimmte heilsame Wirkungen hätten. Ich fühlte mich in der Wahrheit meiner Wahrnehmungen bestärkt, gestand jedoch ein, dass meine „großartigen Erkenntnisse“ ein alter Hut seien.

Eine andere Wahrnehmung bestätigte sich in ihrem Wahrheitsgehalt über ein Jahr später. Ich entwickelte einen überaus starken Bezug zu Zahlen und empfand eine besondere Bedeutung in jeder Zahl, die mir aber nicht klar wurde. So als hätte jede Zahl einen „eigenen Geist“. Insbesondere zur Zahl fünf fühlte ich mich in besonderem Maße hingezogen und brachte sie in besondere Verbindung mit Weih- nachten, mit Christus. Warum wusste ich nicht, ich spürte es. Bei dem Besuch einer holländischen Kirche entzündete ich deshalb einmal fünf Kerzen in einer besonderen Anordnung.

Als ich im September 1988, am Ende meiner Kur in Donaueschingen „zufällig“ auf das Buch „Schicksal als Chance“ von Thorwald Dethlefsen stieß, las ich das erste Mal davon, dass es eine Lehre von den Zahlen gab, die Numerologie. Anfang 1989 ging ich einfach in die Buchhandlung und guckte im Ordner unter Zahlenmagie oder so ähnlich nach. Ich bestellte mir meine ersten Bücher über Numerologie. Die Fünf war meine Namenszahl und auch die Christuszahl. Ich spürte in diesem Punkt intuitiv etwas, was einen, wenn auch mir damals nicht entschlüsselbaren, Wahrheitsgehalt besaß.

Kurz vor Weihnachten hatte ich wieder ein Gespräch mit meinem homöopathischen Arzt Erwin Tribbe in Bielefeld. Mein Ekzem am After war immer schlimmer geworden und darüber sprach ich mit ihm. Er gab mir eine Einzeldosis Sulfur. Nie werde ich die folgende Nacht vergessen. Ich hatte einen blutigen, stechenden Durchfall, als wenn sich mein Darm und Blinddarm entleerte – der Blinddarm hatte sich bei einer früher durchgeführten Darmdurchleuchtung als verstopft erwiesen. Ich schlief kaum, aber schon am nächsten Tag ging es mir besser und nach zwei Tagen war das Ekzem, unter dem ich seit Monaten litt, weg – jawohl, vollständig ausgeheilt. Dies war für mich eine Wunderheilung und der Durchbruch zu meinem Vertrauen in die Kunst meines Arztes – die Kunst der Homöopathie.

Allerdings ging mit der Blitzheilung meines körperlichen Symptoms ein neuer Schub seelischer Heilungsprozesse voran. Ich entwickelte eine neue Unruhe, die sowohl für meine Umgebung, als auch zunehmend für mich unerträglich wurde. Auf der anderen Seite war ich weiterhin von meinen Kräften überzeugt und ließ in meinem kreativen Tätigkeitsdrang nicht

nach. Ich war verrückt, aber weil mich meine Umgebung – verständlicherweise – immer weniger aushielt, mich für verrückt erklärte, und damit auch

meine Wahrnehmungen, meine Religiosität, die ich als großes Geschenk empfand, weil man mich für verrückt erklärte, begann ich nun wirklich wahnsinnig zu werden. Ich begann Handlungen, um zu beweisen, dass ich Recht hatte, dass ich nicht verrückt war – und damit begann der Wahnsinn. Arbeitsfähig war ich nun wirklich nicht mehr, ich hielt die empfundene Feindseligkeit von Seiten meiner Kollegen in der Schule nicht mehr aus und ließ mich von meinem Nervenarzt krankschreiben. Ich hatte ihn jede Woche besucht und blieb seit dem Workshop bei ihm in Kontakt. Nun begann jedoch sicher die Zeit in der auch er überlegte, ob er mich zwangsweise in die Psychiatrie ein- weisen müsse, wozu ihn meine Schwester telefonisch drängte und was er auch erwog (wie ich später erfuhr).

Ich widmete mich Unternehmungen, die typisch sind für einen manischen Menschen – und doch noch bis heute z.T. einen gewissen Reiz auf mich ausüben. Ich denke z.B. an den Aufkleber, den ich entwerfen und drucken ließ: einen sechsfarbigen Regenbogen über einem Findling (einzelner Stein aus der Eiszeit, kann klein aber auch bis zu bis zu mehrere Tonnen schwer sein – kommt in meiner Heimat häufig vor) und darunter der Schriftzug der Firma, der Idee, die ich in mir trug: Aueland Art (Atelier und Agentur für darstellende Kunst, Bildung, Wissenschaft und Dienstleistungen. Weit über 2000. -DM kosteten mich der Entwurf und Druck von 1000 Aufklebern. Ich ließ bei einem professionellen Grafiker weitere Firmenschriftzüge entwerfen für einen Briefkopf, ging zu einem Rechtsanwalt und wollte ihm die Copyright-Beantragung übergeben, ich kaufte Gemälde, eins schenkte ich Marianne, ließ bei einem Fotostudio eine Fotoserie von mir machen (als Clown, Feuerspucker und Musiker) und schließlich machte ich einen Auftritt in einer Musikkneipe klar – für den ich noch zwei Musiker anheuerte. Natürlich hatte ich Handzettel über mich professionell drucken lassen – ebenso Plakate, die in 100 Exemplaren zum Leidwesen meines Vaters über die Stadt verteilt wurden. Ich sprühte voller Aktivismus, und den fremden Leuten, mit denen ich zu tun hatte, schien nichts aufzufallen. Nur meine zunehmende Unruhe bereitete mir selbst Unbehagen.

Ich meldete mich wieder bei meinem homöopathischen Arzt an und erstmals erzählte ich ihm, der mittlerweile einzigen Person, der ich vertraute, davon, dass ich zeitweise das Gefühl gehabt habe, vielleicht der wiedergeborene Jesus zu sein. Mit seinem typischen „Ah ja – alles klar“ verschrieb er mir Cannabis in homöopathischer Potenz. Er sprach davon, dass der Glaube, Jesus zu sein, typisch für das Mittel Cannabis sei und außerdem gäbe es bei mir ja den Haschisch(=Cannabis)konsum aus meiner Jugendzeit.

Was jetzt passierte, übertraf noch das Wunder meiner Ekzemheilung und war gleichsam der Beginn eines bitteren Abstiegs aus luftigen Höhen. In einem ursprünglich an eine spirituelle Zeitschrift (Connection) gerichteten Leserbrief verarbeitete ich 1992 erstmals den nun einsetzenden „Ernüchterungsprozess“, der für die Gesundung eines Psychotikers wohl unumgänglich ist (der Text erschien dann leicht verändert in Homöopathie aktuell 1/93). Dort beschrieb ich die nun einsetzenden Erlebnisse wie folgt: „Mit der Einnahme des potenzierten Cannabis begann für mich ein Ernüchterungsprozess, der mich gewahr werden ließ, was „Erdung“ heißt. Das Mittel zwang mich buchstäblich in die Knie. Zwei Tage lag ich fast flach. Unter Schmerzen fühlte ich, wie sich etwas aus meinen Knochen, vor allem den Kniegelenken löste. Parallel klärten sich meine Gedanken auf wundersame Weise. Mir wurde nicht nur bewusst, wie „verrückt“ und abgehoben ich die vorangegangenen Wochen gewesen war – so schön sie auch in vielerlei Hinsicht waren – vielmehr löste sich in mir eine Art, die Dinge der Welt zu sehen, wie sie mich fast fünfzehn Jahre wesentlich mitgeprägt hat. Ich sah die Welt mit anderen Augen.“

Zwar verließen mich auch meine „übersinnlichen“ Wahrnehmungen und meine Vitalität, jedoch klärte sich in mir innerlich so viel, dass es mir wert war, da jetzt hindurchzugehen. Ich kam meiner inneren Wahrheit näher. Das Wesentlichste bestand wohl darin, dass ich die Alltäglichkeiten des Lebens neu zu gewichten begann. Und damit vor allem mich mit meinen Licht und Schattenseiten. Mir wurde klar, dass die Beziehung mit Marianne keine Zukunft hatte, dass ich mich damit total übernommen hatte. Meine Einschätzung von Menschen und vor allem die bodenständigen Tugenden, für die mein Vater stand, bekamen eine neue Wertigkeit.

Dieses neue „Sehen“ erfüllte mich mit Schmerz und mit Scham. Zwar hatte ich die Möglichkeit in einer ambulanten Therapiegruppe bei meinem Nervenarzt einen Teil des Schmerzes hinauszuschreien, aber Raum und Verständnis für das was in und mit mir passierte fand ich auch dort nur begrenzt. Mein Nervenarzt und Psychotherapeut hatte keinen Bezug zur Homöopathie, mein homöopathischer Arzt keinen Bezug zum Prozess in der Psychotherapie. Und vor allem: Beide hatten nicht die Zeit für mich, die ich mir gewünscht und die ich gebraucht hätte. Aber Psychiatrie war beileibe keine Alternative, vielleicht wäre es eine aufgeschlossene Soteria gewesen, so wie ich sie mir vor- stellen würde.

Von einem war ich überzeugt: Alles was in den letzten Monaten (es ist jetzt Februar/März 1988) passiert war, war ein Prozess der Heilung, aber jetzt ging mir allmählich die Kraft aus, alles auszuhalten. Meinen Auftritt als „Künstler“ brachte ich noch mehr schlecht als recht über die Bühne, dann versuchte ich nur noch irgendwie den Tag auszuhalten, zu „leben“, zu funktionieren, um vielleicht bald wie- der zu arbeiten. Nachdem ich schließlich nach der Trennung von Marianne eine Woche wieder zu Hause im Haus meiner Eltern lebte, hielt ich es vor Unruhe und Depressivität nicht mehr aus. Ich ging für 4 Monate in die Psychiatrie und Tagesklinik. Was ich erlebt hatte, brauchte eine Zeit des Verdauens. Im Sinne eines Heilungsprozesses hatte ich durch meine in die Manie mündende Heilungskrise wohl auch spirituelle Krise eine intensive und sehr schmerz- hafte Erstverschlimmerung erlebt – jetzt galt es mein Leben neu zu sortieren. Um zur Ruhe zu kommen, war die Psychiatrie ein guter, geschützter Ort – wenn auch kein Ort zur emotionalen Durcharbeitung.

Einige An- und Einsichten heute, über 20 Jahre danach

 So schrieb ich abgesehen von leichten Änderungen vor einigen Jahren meine Erinnerungen an meine Anfangszeit eines langen Heilungsweges nieder. Heute arbeite ich seit über acht Jahren als Suchttherapeut in der stationären Rehabilitation von Abhängigkeitserkrankungen. Das ich in dieser Berufstätigkeit ankommen konnte, hat mit vielen Erfahrungen und Werk- zeugen zu tun, die ich über die Jahre kennen- lernen durfte. (Gerne würde ich meine Heilungskomptenz auch in anderem Rahmen einbringen – beruflich bin ich wieder offen).

Ich bin nicht nur in bezug auf meine frühere Diagnosen, „Neurotische Depression mit rezidivierender Dekompensation bei zyklotymer Persönlichkeit“, „Zyklotomie“ oder emotional in- stabiler Persönlichkeitsstörung (retardiert) seit Jahren stabil und damit geheilt, sondern konnte mich von einigen körperlichen Erkrankungen wie häufigen Rückenschmerzen, längeren Harnwegsinfektionen und schließlich sogar die letzten 8 Jahre weitgehend von Heu- schnupfen verabschieden, ohne dass ich mich mit schulmedizinischen Medikamenten verschließen musste. Auch, und das sage ich heute im Rückblick, wenn ich 1988/89 und 1990 zur Wiedereingliederung in das Arbeitsleben Antidepressiva für eine Weile benötigte, bzw. 1988 nach der oben beschriebenen manisch-psychotischen Episode parallel zur homöopathischen Begleitung „Melleryl“ benötigte. Ich habe mir meinen Heilungsweg durch weit- gehende Abstinenz von Psychopharmaka sicher schwerer gemacht, als er hätte sein können. Doch ich wollte etwas beweisen: „Gesundwerden ist möglich!“ – Das ist mir gelungen.

Neben der Homöopathie, deren Wirkung ich oben an 2 Beispielen beschrieb, stellte ich mich immer wieder der emotionalen Körpertherapie des Cariel-Prozesses in 4 – 10 tägigen Intensivtherapien. Ich wollte zu der in der mani- schen Phase erstmals empfundenen eigenen Lebendigkeit finden und wandte mich daher trotz gegenteiliger  Empfehlungen  nach meiner

„Sinnantwort“ auf diesen Lebenseinbruch wie- der dieser Therapieform zu, wenn auch ab Juni 1989 bei neuen Therapeuten in der Hirsenmühle (Dan Casriel Institut unter Leitung Dr. Ingo Gerstenberg, Westerwald). Entscheidend für eine stärkere emotionale Stabilisierung war jedoch dann ab 1993 die verstärkte Kombination mit einer Familienaufstellung nach Bert Hellinger, sowie die Einbeziehung seiner Ein- sichten in die Therapie, sowie durch intensives Eigenstudium in sein Denken, wie auch systemischem Denken überhaupt, das ja über Bert Hellinger hinaus geht. Ich lernte mein Leben, mein Leid – und das Leid/Schicksal meiner Familienangehörigen über verschiedene Generationen – in vielen Schritten neu wahrzunehmen, durchzuarbeiten und eine zunehmend bewusstere und gemäßere Haltung dazu zu entwickeln. Eine soziale und geistige Stütze wurden mir lange Zeit Gruppen der Emotions Anonymous, die ich in einer kritischen Zeit 1989 sogar bis zu 3 x die Woche besuchte. Sie halfen mir einen zweiten Psychiatrieaufenthalt (nach 1988) zu vermeiden, als ich durch Selbstüberforderung nochmals in eine psychotische (diesmal noch deutlicher spirituelle) Krise abglitt, aus der ich ähnlich wie Anfang 1988 mit Hilfe der Homöopathie zurückfand. Darüber hinaus erhielt ich aus Büchern von Thorwald Dethlefsen und Rüdiger Dahlke, sowie Karlfried  Graf Dürkheim   („Alltag   als Übung“) wichtige Impulse. So lernte ich neu das alltägliche Leben mit seinen erdenden Möglichkeiten zu nutzen, sei es z.B. durch Wertschätzung des Unkrautjätens („in der richtigen Haltung“ bei dieser niederen Arbeit gibt es keine Rückenschmerzen), bzw. schließlich einer schlichten Arbeit als Paketfahrer und dann auch für 7 ½ Jahre als Verkaufsfahrer in einem „Tante Emma Laden auf Rädern“.

Ich kenne heute anders als früher eine Schwere des Lebens. Nicht zuletzt habe ich über Jahre sehr hart an mir gearbeitet. Ich habe immer wieder viel riskiert, viel Geld für meine Gesundheit (Homöopathie und Psychotherapie) ausgegeben, das mir durch das Erbe des elterlichen Hauses zur Verfügung stand. Hauptsache „heilen“. Ich hätte mich anders entscheiden können – und vielleicht heute mehr Besitz, eine einfache Arbeit, vielleicht gar ein Kind und noch meinen Heuschnupfen und meine regelmäßigen Medikamente. „Sie brauchen Lithium wie der Diabetiker sein Insulin“ klingt es mir noch in den Ohren, „vertrauen sie mir doch“, so die Worte meiner früheren Hausärztin.

Dafür kann ich heute stabil in dem Beruf arbeiten, den ich als Jugendlicher anstrebte, als Therapeut. Seit meinem Wiedereinstieg in das Arbeitsleben 1990 habe ich abgesehen von den Folgen eines Autounfalles kaum Fehlzeiten im Arbeitsleben gehabt. Seit 1991 bin ich abstinent vom Rauchen (früher 30 – 40 Zigaretten). Ich habe die Freude am Singen entdeckt und eine ganz schöne Stimme entwickelt, sowie bis heute über 40 Lieder geschrieben.. Ich spüre mich lebendig, wie ich es früher höchstens bei anderen bewundert habe – z.B. in der kleinen Freude über meine heute in meiner Wohnung gedeihenden Blumen oder über den Sonnenschein im Frühling. Und ich habe heute vielleicht gerade darin ein durch Erfahrung bedingtes religiöses Grundempfinden, dass mich sehr reich und froh macht. Spiritalität habe ich letztlich immer wieder in neuen Qualitäten kennen lernen dürfen – gerne nenne ich mich heute „fromm“, das klingt weniger „chic“, so wie das Wort „spirituelle Krise“ vielleicht auch eine verbale Abmilderung durchaus bedrohlicher seelischer Zustände sein kann.

„Gesund werden ist möglich“ schrie ich einst (1989) in einer psychotherapeutischen Intensivphase einer Therapeutin und anderen Gruppenmitgliedern entgegen, von denen ich mich skeptisch beäugt fühlte. Dies zu beweisen war mir über viele Jahre ein Anliegen. Skepsis begegnete mir über die Jahre immer wieder, von Menschen, bei denen ich unterschiedliche Themen auslöste. Andererseits sehe ich mich heute eingebunden in ein Netzwerk von Menschen, denen „Heilung“ ein Anliegen ist und die z.T. entsprechende Erfahrungen haben und wissen, wie es „schmeckt“. Hier fühle ich mich solidarisch verbunden – und respektiert. Seien es Menschen, mit denen ich auf dem Weg intensive Erfahrungen hatte, Kollegen, Therapeuten, die mehr von mir erlebt haben oder Referenten meiner ca. 100 Veranstaltungen, die ich bis 2006 über 13 Jahre organisierte, bekanntere Namen sind z.B. Rüdiger Dahlke und Jirina Prekop. Hier gelang es mir, in zwei Städten (Lübbecke und Detmold), unter dem Namen „Leben und Sinn“ ein kleines Energiefeld aufzubauen, indem Gedankengut, wie es meinem Genesungsweg entspricht, gepflegt wurde.

Auch selber habe ich einmal mit guter Resonanz Kleinkunstprogramme und einen Vortrag gestaltet („Gesundwerden ist möglich – Einsichten eines Genesenden“), in dem ich von meinen Erfahrungen berichtet habe. Dabei ist mir jedoch auch deutlich geworden, das es nicht leicht ist, gleichzeitig „Psychoseerfahrener“, wie auch im Berufsleben etablierter Therapeut zu sein. Über schmerzhafte Erfahrungen zu berichten, kann auch ein Stück Retraumatisierung sein. Ich möchte heute gut in meiner beruflichen Existenz leben, da scheint es mir besser zu sein, mich vor allem als Sozialpädagoge/Suchttherapeut zu definieren und diesen Teil von mir zu leben. Auch so scheine ich den Wunsch verwirklichen zu können, das was mir an Genesung gegeben wurde auf eine gute Art und Weise weiter zu geben – so gut ich kann. Auch ist mir heute wichtig, immer wieder Freude zu haben und mich mit Leib und Seele zu entfalten und es mir endlich einfach gut gehen zu lassen – so gut es geht. Lebendig leben ist mir kostbar geworden.

Und manchmal biete ich meine persönlichen Erfahrungen dann doch wieder an, wie jetzt mit dem Einsenden dieser Zeilen. Vielleicht ist es ja von Interesse und macht Mut. Das wünsche ich anderen „Psychoseerfahrenen“, denen ich mich nach wie vor als „Davongekommener“ innerlich sehr verbunden fühle.

Zum Schluss möchte ich noch „meine Literatur-Hits“ angeben. Es sind teilweise unterhaltsame Bücher, Lebensweisheiten, wie auch Fachliteratur. Das neuste ist dabei das Buch von Franz Ruppert, das mir sehr zum Verständnis meiner Geschichte beigetragen hat.

Literatur:

Dethlefsen, Thorwald, „Schicksal als Chance“

Dürckheim, Karlfried Graf, „Alltag als Übung“

Ders. „Erlebnis und Wandlung“

Grof, Stanislav (Hrsg.), „Spirituelle Krisen“

Ignatius, Alex, „Die zen-sationellen Abenteuer des Pilger Mu“

Ders., „Pilger Mu – Einer wie Du und Ich“

Laotse, „Tao te king“ in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Lechler, Walter/ Lair, Jaqueline, „Von mir aus nennt es Wahnsinn“

Ruppert, Franz, „Verwirrte Seelen – Entwurf einer systemischen Psychotraumatologie“

Shah, Idries, „ Die fabelhaften Heldentaten des vollendeten Narren und Meisters Mulla Nasrudin“

Simon, Fritz B., „Meine Psychose, mein Fahrrad und ich“

Weber, Gunthard(Hrsg.), „Zweierlei Glück – Die systemische Therapie Bert Hellingers“